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Die Sache mit den Klößen – ODER: Wie man mit sprachlichen Bildern Atmosphäre schafft. Und wie nicht.

Die meisten von uns haben wohl schon in der Grundschule (Reizwortgeschichten und Nacherzählungen der Vater-und-Sohn-Comics sei fragwürdiger Dank) gelernt: Wer nervös ist, sich unwohl fühlt oder bedrückt, hat den sprichwörtlichen Kloß im Hals.

 

Doch woher kommt das überhaupt?

Man hat natürlich weder Semmel- noch Kartoffelkloß im Hals, wenn die Redewendung benutzt wird. Viel mehr ist damit der psychisch-physische Druck gemeint, den man in belastenden oder sehr emotionalen Situationen fühlt. Der führt dazu, dass sich der eigene Hals wie zugeschnürt (Ha! Noch so ein Ausdruck!) anfühlt – oder so, als würde einem die Luft abgedrückt. Diese Empfindung ähnelt der, etwas nicht gut gekaut und zu früh geschluckt zu haben.

Doch ähnlich wie der Hinweis im Deutschunterricht (zumindest in dem, den ich damals genossen habe), dass »sagen« im Redebegleitsatz langweilig und wenig spezifisch ist und durch möglichst bunte Synonyme (quieken, schnauben, grummeln …) ersetzt werden sollte (bitte nicht, aber dazu in einem anderen Beitrag bald mehr), ist auch der in Schulaufsätzen gern verwendete »Kloß im Hals« ein lästiges Überbleibsel.

Zu den Redebegleitsätzen wird es in naher Zukunft noch einen Blogbeitrag geben, aber die Kloß-Sache, die gehen wir heute an.

 

Eine Sache noch vorab: Es ist absolut nichts Schlimmes daran, den Kloß im Hals als sprachliches Bild heranzuziehen – oder etwas ähnlich Eindrückliches wie die schlotternden Knie oder die Schmetterlinge im Bauch. Wenn das allerdings im Manuskript mehrfach geschieht, dann nutzt sich das Bild ab und damit wandert der Fokus der Lesenden immer mehr vom Gefühlseindruck (»Ich fühle mit dem Charakter und mir ist auch schon ganz bange!«) zum Text an sich (»Schon wieder ein Kloß?«).

 

Und wenn das passiert, kehrt auch die Aufmerksamkeit von der Geschichte zurück in die Realität der Lesenden. Da sind dann auf einmal Ablenkungen – das Smartphone, der Haushalt, ein blaues Auto (#iykyk) – und, schwupps, wird euer Buch beiseitegelegt.

 

Wie merke ich also, dass ich eine Formulierung sehr häufig verwende?

Zum einen könnt ihr mit der Such-Funktion (in Word: START > BEARBEITEN > SUCHEN) durch den Text gehen und die Wörter eingeben, von denen ihr wisst oder zumindest ahnt, dass ihr sie gerne mal nutzt. Was die Erkennung von Wortwiederholungen auf kleinstem Raum angeht, eignen sich auch spezialisierte Schreibprogramme wie beispielsweise Papyrus Autor.

 

Darüber hinaus hilft vor allem aufmerksames und kritisches Lesen und spätestens der professionelle Blick einer lektorierenden Person.

 

Okay, ich habe alle Klöße aus dem Manuskript getilgt, aber wie erzeuge ich denn stattdessen Atmosphäre und beschreibe die Gefühle und Emotionen näher? Und das, ohne einfach zu sagen: »Sie hatte ein ungutes Gefühl.«

 

Dazu gibt es verschiedene Ansätze. Ich habe mir hier eine Ausgangssituation überlegt, anhand derer wir besagte Ansätze jeweils durchtanzen werden. Hm, war das vielleicht schon eine Andeutung?

 

Ja, war es! Denn im Folgenden wird es um die Profi-Tänzerin Jana gehen, deren Tanzpartner Alexei, mit dem sie seit Beginn ihrer Karriere zusammengearbeitet hat, einen schweren Unfall hatte. Nach der Not-OP erfährt Alexei, dass er aufgrund seiner Verletzungen nicht mehr in den Profisport zurückkehren kann. Daraufhin ruft er Jana an und überbringt ihr die schreckliche Nachricht.

 

Wie könnt ihr hier also variieren? (Wir denken uns, dass hier ursprünglich mal gestanden war: Der Kloß in Janas Hals schwoll an.)

 

1. Bei den sprachlichen Bildern bleiben, diese aber mit einem Twist versehen

Welcher Lebenswelt entstammt euer Perspektivcharakter? Welchen Beruf übt er aus? Vielleicht gibt es spezifische Begrifflichkeiten, die ihr nutzen könnt – oder eine ganz bestimmte Symbolik, die eurem Text innewohnt.

Beziehen wir das nun auf Jana. Dann könnte die Passage womöglich so aussehen:

 

Jana ging im Studio auf und ab. Die Absätze ihrer Tanzschuhe waren mit einem Mal zu hoch, viel zu hoch. Auch die tiefe Atmung, die sie in so vielen Stunden des Trainings perfektioniert hatte, half ihr in diesem Moment nicht. Im Gegenteil: Je tiefer sie Luft holte, desto weniger schien ihre Lunge fassen zu können.

 

Was ist hier also passiert? Ich habe noch ein wenig Handlung hinzugefügt (Janas Auf- und Abgehen, das ihre Nervosität zeigt), habe durch einen persönlichen Eindruck verstärkt und etwas aus ihrem beruflichen Umfeld aufgegriffen (die Tanzschuhe, die mit einem Mal viel zu hoch zu sein scheinen und die tiefe Atmung aus dem Training).

Fun Fact am Rande (den ich in Lektoraten fast ebenso häufig anmerke wie die Klöße): Ein Mensch hat nur eine Lunge, aber zwei Lungenflügel.

 

2. Weitere Sinne ansprechen

Während der Kloß im Hals das Fühlen anspricht, gibt es noch vier andere Sinne, auf die ihr zurückgreifen könnt. Ich beziehe mich hier auf die fünf »klassischen« Sinne: Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Je nach Definition können es mehr sein (Temperatur- und Gleichgewichtssinn beispielsweise), aber die interessieren im Rahmen dieses Artikels eher wenig.

 

Auch die selektive Wahrnehmung eures Perspektivcharakters spielt eine Rolle dabei, wie sich dessen Gefühle auf die Lesenden übertragen.

 

Was macht das also mit unserer Tänzerin?

 

Die Luft im Studio schien plötzlich viel dünner geworden und der sonst so tröstliche Geruch von Bohnerwachs und alten, staubigen Samtvorhängen das genaue Gegenteil zu bewirken.

 

In diesem Beispiel werden Empfindungen angesprochen, die die Lesenden wahrscheinlich aus ihrem eigenen Leben kennen und die sie deshalb genau nachvollziehen können: der Eindruck, dass das Atmen schwerfällt und dass ein Geruch, der einem sonst Trost spendet, eine Enge in der Brust entstehen lässt. Durch die konkrete Benennung (hier: das Bohnerwachs und der Staub der Samtvorhänge) sprecht ihr außerdem die Vorstellungskraft der Lesenden an und die Szene wirkt plastischer.

 

3. Talk to me, baby!

Sofern euer Charakter nicht stumm ist oder eine andere Form der Sprachbarriere besteht, kann er sich auch unmittelbar zu der Situation äußern.

 

Jana könnte dies beispielsweise wie folgt tun:

 

»Du meinst …? Alexei, das … und wie … Nein!« Die Worte kamen nur abgehackt aus ihrem Mund, als wäre ihr Kopf nicht mehr fähig, einen zusammenhängenden Satz zu bilden. Als könnte ihre Lunge nicht mehr genug Luft vorbringen, um überhaupt sprechen zu können.

 

Ja, ich weiß, ein bisschen geschummelt habe ich, weil es sich hier nicht NUR um Gesprochenes handelt, sondern der Absatz auch mit ein wenig Innenleben untermalt wird. Statt des Stotterns könnte Jana hier aber auch in einen Redeflash verfallen und versuchen, all ihre Gefühle in Worte zu packen. Wenn eure Jana eine Person ist, die ihr Herz auf der Zunge trägt, wäre auch das eine glaubhafte Alternative.

 

»Wie ist dieser Unfall eigentlich genau passiert? Trägst du Schuld an dem Unfall? Und wie stellst du dir das vor? Ich kann mir doch nicht einfach einen neuen Tanzpartner suchen. Ich brauche doch dich, Alex! Wenn du aufhörst, dann ist meine Karriere ebenfalls vorbei. Und das … das ertrage ich nicht. Hörst du, Alex? Ich ertrage das nicht!«

 

4. Deine persönliche Erfahrung

Ich glaube nicht, dass man nur (über) das schreiben kann, was man selbst erlebt hat. Damit würde man sich als Autor:in sehr einschränken. Stattdessen bin ich der Meinung, dass man über alle Situationen schreiben kann, in die man sich selbst tief einfühlen kann – die nötige Recherchearbeit vorausgesetzt natürlich.

 

Was ich mit diesem Punkt aber vor allem sagen will, ist Folgendes: Ihr habt euch über die Jahre einen Erfahrungsschatz aufgebaut, habt Liebeskummer erlebt, Trauer vielleicht, oder die Freude, einen persönlichen Meilenstein erreicht zu haben. Wie hat sich das für euch angefühlt?

 

Begebt euch auf eine emotionale Reise durch eure Erinnerungen und versucht, zu beschreiben, wie sich das für euch angefühlt hat. Wo im Körper habt ihr das Gefühl gespürt, was habt ihr in dem Moment verstärkt wahrgenommen? Ihr könnt hier auch das eigentliche Manuskript mal beiseitelegen und stattdessen mit Stift und Papier arbeiten und all das aufschreiben, was euch in den Sinn kommt.

 

Wenn ihr damit fertig seid, könnt ihr mit frischem Blick noch mal durch eure Notizen gehen und dann aussieben, was nun zu eurer Jana passt – und die Szene mit dieser Hilfestellung zu Ende schreiben.

 

So, nun habt ihr euren persönlichen Schreib-Werkzeugkasten hoffentlich um ein paar Dinge erweitern können und euren Blick für klischeehafte Metaphern geschärft. Dann bleibt mir nur noch zu sagen: Husch, husch, zurück ans Manuskript!

 

Und wenn ihr darüber hinaus Hilfe im Rahmen eines Lektorats oder Manuskriptgutachtens braucht, wisst ihr ja, wo ihr mich findet.

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